Bratenfond & Braune Jus: Das flüssige Gold der Wirtshausküche

Von Franz Huber, Wirtshauswirt seit 35 Jahren
Warum ich nach drei Jahrzehnten am Herd immer noch selbst Fond koche
Wenn mich junge Köche fragen, was das wichtigste Geheimnis einer guten Wirtshausküche ist, sage ich immer dasselbe: „Ein ehrlicher, selbstgemachter Bratenfond.“ In meinen 35 Jahren hinterm Herd hab ich viele Moden kommen und gehen sehen. Molekularküche, Fusion, nordische Küche – alles schön und gut. Aber was die Gäste in einem echten Wirtshaus wirklich glücklich macht, ist eine sämige, tiefbraune Sauce, die nach Kindheit, Sonntag und Heimat schmeckt.
Ich könnte mir natürlich wie viele andere Fertigfond in Eimern liefern lassen. Spart Zeit, spart Personal. Aber dann würde etwas fehlen, was kein Convenience-Produkt ersetzen kann: die Seele. Ein guter Bratenfond ist die Basis für fast alles in der traditionellen Küche – vom Gulasch bis zum Sauerbraten, vom Zwiebelrostbraten bis zur Wildragoutsauce.
Lasst mich euch erzählen, wie wir das in meinem Wirtshaus „Zum Goldenen Ochsen“ seit Generationen machen, warum es sich lohnt, und wie ihr auch zu Hause einen Vorrat anlegen könnt, der euch durch den Winter bringt.
Was einen echten Bratenfond ausmacht
Bevor wir zum Rezept kommen, müssen wir verstehen, was einen Bratenfond von einer gewöhnlichen Brühe unterscheidet. Der Unterschied liegt in einem Wort: Röstaromen.
Ein Bratenfond (oder eine braune Jus) ist im Grunde eine konzentrierte Fleischbrühe, bei der die Zutaten vorher kräftig angeröstet werden. Durch dieses Anrösten entstehen durch die sogenannte Maillard-Reaktion hunderte von neuen Geschmacksstoffen, die dem Fond seine charakteristische dunkle Farbe, seinen intensiven Geschmack und sein unverwechselbares Aroma geben.
In der Wirtshausküche ist ein guter Bratenfond die Grundlage für fast alle Saucen. Er gibt dem Schweinsbraten die nötige Tiefe, dem Gulasch seinen runden Geschmack und dem Sauerbraten seine samtige Konsistenz. Ohne einen ordentlichen Fond ist eine Wirtshausküche wie ein Orchester ohne Bass – es fehlt einfach das Fundament.
Die Zutaten: Was in den Topf kommt und warum
In meinen Jahrzehnten als Wirtshauswirt habe ich gelernt, dass Qualität bei den Grundzutaten anfängt. Hier ist, was ihr für einen klassischen Bratenfond braucht:
Die Basis – Knochen und Fleischabschnitte
Rinderknochen: Markknochen, Beinscheiben und Rippenknochen sind ideal. Sie sollten möglichst frisch sein und vom Metzger eures Vertrauens kommen. Für 5 Liter Bratenfond rechne ich mit etwa 3-4 kg Knochen.
Fleischabschnitte: Fleischreste vom Rind, idealerweise mit etwas Fett dran. Ich verwende oft Abschnitte vom Hals, der Wade oder der Brust. Etwa 500g-1kg für einen guten Fond.
Kalbsknochen (optional): Geben eine feinere Note und mehr Gelatine. Wenn ihr sie bekommt, nehmt sie dazu.
Das Gemüse – die aromatische Basis
Suppengrün: Das klassische Trio aus Karotten, Sellerie und Zwiebeln im Verhältnis 2:1:2. Für einen großen Topf Fond nehme ich:
- 4 große Karotten
- 2 Stangen Sellerie oder eine halbe Knollensellerie
- 4 große Zwiebeln, ungeschält (die Schale gibt Farbe!)
Tomatenmark: Etwa 2-3 EL für die Farbe und Umami-Tiefe. Wird angeröstet, bis es dunkelrot ist.
Knoblauch: 4-5 Zehen, ungeschält, leicht angedrückt.
Die Aromatisierung – der Feinschliff
Gewürze: Zurückhaltend, aber wichtig:
- 5-6 schwarze Pfefferkörner
- 2 Lorbeerblätter
- 2-3 Wacholderbeeren
- 1 TL Pfefferkörner
- 1 kleines Stück Zitronenschale (nur das Gelbe, ohne das Weiße)
Kräuter: Ein kleines Bund Petersilie (mit Stängeln), 2-3 Zweige Thymian, 1 Zweig Rosmarin.
Zum Ablöschen:
- 1 Flasche trockener Rotwein (nichts Teures, aber etwas, das ihr auch trinken würdet)
- Ein Schuss Cognac oder Weinbrand (optional, aber gibt Tiefe)
Zum Verfeinern:
- 2 EL Tomatenmark
- 1 TL Zucker zum Karamellisieren
Das Rezept: Wie wir’s im Wirtshaus machen
Zutaten für etwa 5 Liter Bratenfond:
Für die Basis:
- 3-4 kg Rinderknochen (Markknochen, Beinscheiben)
- 500g-1kg Fleischabschnitte vom Rind
- 4 große Karotten, grob gewürfelt
- 2 Stangen Sellerie oder 1/2 Knollensellerie, grob gewürfelt
- 4 große Zwiebeln, halbiert (mit Schale)
- 4-5 Knoblauchzehen, leicht angedrückt
- 2-3 EL Tomatenmark
- 1 TL Zucker
- 2 EL Pflanzenöl und 2 EL Butterschmalz zum Anrösten
Zum Ablöschen und Aromatisieren:
- 1 Flasche trockener Rotwein
- 100ml Cognac oder Weinbrand (optional)
- 2 Lorbeerblätter
- 5-6 schwarze Pfefferkörner
- 2-3 Wacholderbeeren
- 1 kleines Stück Zitronenschale
- 1 kleines Bund Petersilie
- 2-3 Zweige Thymian
- 1 Zweig Rosmarin
- Etwa 5-6 Liter kaltes Wasser
Zubereitung:
Vorbereitung und Rösten – hier entsteht der Geschmack
- Knochen vorbereiten: Den Backofen auf 220°C Ober-/Unterhitze vorheizen. Die Knochen auf ein tiefes Backblech legen und etwa 45-60 Minuten rösten, bis sie dunkelbraun sind. Zwischendurch wenden. Das ist kein Schritt, den man abkürzen sollte – hier entsteht der Grundgeschmack!
- Gemüse vorbereiten: Währenddessen das Gemüse grob würfeln. Die Zwiebeln halbieren, aber die Schale dranlassen – sie gibt Farbe.
- Fleisch anbraten: In einem großen Suppentopf (mindestens 10 Liter Fassungsvermögen) Öl und Butterschmalz erhitzen. Die Fleischabschnitte portionsweise scharf anbraten, bis sie rundherum dunkelbraun sind. Nicht zu viel auf einmal in den Topf geben, sonst kocht das Fleisch statt zu braten.
- Gemüse rösten: Das Gemüse zum angebratenen Fleisch geben und bei mittlerer bis hoher Hitze etwa 10-15 Minuten mitrösten, bis es Farbe annimmt. Gelegentlich umrühren.
- Tomatenmark karamellisieren: Tomatenmark und Zucker hinzufügen und unter ständigem Rühren etwa 3-5 Minuten mitrösten, bis das Tomatenmark dunkelrot bis bräunlich wird und leicht am Topfboden ansetzt. Das ist wichtig für die Farbe und Tiefe des Fonds.
Der Kochprozess – Geduld ist alles
- Mit Alkohol ablöschen: Mit dem Cognac (falls verwendet) ablöschen und die Flüssigkeit fast vollständig einkochen lassen. Dann den Rotwein angießen und ebenfalls um etwa die Hälfte reduzieren lassen. Mit einem Holzlöffel dabei immer wieder den Topfboden abkratzen, um die angesetzten Röstaromen zu lösen.
- Knochen hinzufügen: Die gerösteten Knochen aus dem Ofen in den Topf geben.
- Mit Wasser auffüllen: Mit kaltem Wasser auffüllen, bis alles gut bedeckt ist (etwa 5-6 Liter). Wichtig: Kaltes Wasser verwenden, damit sich der Fond langsam klärt.
- Gewürze und Kräuter hinzufügen: Alle Gewürze und Kräuter hinzugeben.
- Langsames Köcheln: Den Fond zum Kochen bringen, dann die Hitze reduzieren und bei geöffnetem Deckel mindestens 4 Stunden, besser 6-8 Stunden, sanft köcheln lassen. Der Fond sollte nie sprudelnd kochen, sondern nur leicht simmern. Ab und zu abschäumen.
Fertigstellung – Konzentration und Verfeinerung
- Abseihen: Den Fond durch ein feines Sieb oder ein mit einem Küchentuch ausgelegtes Sieb in einen anderen Topf gießen. Die festen Bestandteile leicht ausdrücken, aber nicht zu stark, sonst wird der Fond trüb.
- Reduzieren: Den abgeseihten Fond wieder auf den Herd stellen und bei mittlerer Hitze ohne Deckel um etwa ein Drittel bis zur Hälfte einkochen lassen, bis er eine leicht sirupartige Konsistenz hat. Das kann je nach gewünschter Intensität 30-60 Minuten dauern.
- Entfetten: Den Fond abkühlen lassen und das an der Oberfläche aufsteigende Fett abschöpfen. Für eine gründlichere Entfettung den Fond über Nacht in den Kühlschrank stellen, wodurch das Fett fest wird und leicht entfernt werden kann.
- Abschmecken: Erst jetzt mit Salz abschmecken. Nie vorher salzen, da sich der Fond durch das Reduzieren konzentriert und sonst zu salzig werden könnte.
Konservieren – Vorrat anlegen
- Einkochen: Den fertigen Fond nochmals aufkochen.
- Abfüllen: In saubere, sterilisierte Einmachgläser füllen, sofort verschließen und kopfüber abkühlen lassen. So hält sich der Fond im Kühlschrank etwa 2 Wochen.
- Einfrieren: Alternativ den Fond in Eiswürfelformen oder kleine Gefrierbeutel portionieren und einfrieren. So habt ihr immer kleine Portionen zur Hand, wenn ihr nur wenig braucht. Im Gefrierschrank hält er sich bis zu 6 Monate.
Praktische Tipps aus der Wirtshausküche
Nach 35 Jahren am Herd habe ich ein paar Tricks gelernt, die ich gerne weitergebe:
Für den perfekten Fond:
- Nie salzen bis zum Schluss: Salz erst nach dem Reduzieren hinzufügen, sonst wird der Fond zu salzig.
- Nie mit dem Deckel kochen: Der Fond soll reduzieren und konzentrieren, nicht verwässern.
- Nie sprudelnd kochen lassen: Ein sanftes Simmern extrahiert die Aromen besser und hält den Fond klar.
- Knochen vom Metzger vorbestellen: Sagt eurem Metzger ein paar Tage vorher Bescheid, dann kann er euch die besten Knochen zurücklegen.
- Röstaromen nicht verbrennen: Anrösten ja, verbrennen nein. Verbrannte Zutaten geben einen bitteren Geschmack.
Für die Lagerung:
- Einmachgläser richtig sterilisieren: Die Gläser und Deckel 10 Minuten in kochendem Wasser auskochen.
- Heiß abfüllen: Den Fond kochend heiß in die Gläser füllen, sofort verschließen und kopfüber abkühlen lassen. Das erzeugt ein Vakuum.
- Beschriften nicht vergessen: Datum und Inhalt auf die Gläser schreiben – nach ein paar Wochen weiß man sonst nicht mehr, was drin ist und wie alt es ist.
- Eiswürfelform-Trick: Fond in Eiswürfelformen einfrieren, dann die Würfel in einen Gefrierbeutel umfüllen. So habt ihr kleine Portionen für Saucen.
Verwendung: Was ihr mit eurem flüssigen Gold machen könnt
Ein guter Bratenfond ist die Basis für unzählige Gerichte. Hier sind einige klassische Verwendungen aus meiner Wirtshausküche:
Klassische Saucen:
- Bratensauce: Den Bratenfond mit den Bratensäften vom Schweinsbraten oder Rinderbraten vermischen, leicht reduzieren und mit etwas kalter Butter montieren.
- Jägersauce: Bratenfond mit angebratenen Pilzen, Zwiebeln und einem Schuss Sahne zu einer samtigen Sauce verarbeiten.
- Pfeffersauce: Fond mit grob zerstoßenem Pfeffer, einem Schuss Cognac und etwas Sahne einkochen.
- Rotweinreduktion: Fond mit Rotwein um die Hälfte reduzieren, mit kalter Butter montieren – perfekt zu Wild und Steaks.
Traditionelle Gerichte:
- Gulasch: Als Basis für ein sämiges Gulasch statt Wasser verwenden.
- Sauerbraten: Zum Ablöschen des Bratens nach dem Anbraten.
- Geschmortes: Für alle Schmorgerichte wie Rouladen, Ochsenbäckchen oder Wildragout.
- Risotto: Ein Löffel Bratenfond im Risotto gibt unglaubliche Tiefe.
Verfeinerung:
- Suppen anreichern: Ein Eiswürfel Bratenfond in eine einfache Gemüsesuppe gibt sofort mehr Tiefe.
- Saucen verbessern: Selbst eine schnelle Sauce aus dem Päckchen wird mit einem Schuss selbstgemachtem Bratenfond sofort besser.
- Gemüse glasieren: Gedünstetes Gemüse mit etwas Bratenfond und Butter glasieren für extra Geschmack.
Vergleich: Hausgemachter Fond vs. Fertigprodukte
Als alter Wirtshauswirt bin ich kein Feind von Convenience-Produkten – manchmal muss es eben schnell gehen. Aber ich möchte euch ehrlich sagen, wo die Unterschiede liegen:
Geschmack:
- Hausgemachter Bratenfond: Vielschichtig, tiefgründig, mit individueller Note je nach verwendeten Zutaten. Hat eine natürliche Süße und Komplexität.
- Fertigfond: Oft eindimensional, mit Betonung auf Salz und Umami. Kann einen künstlichen Nachgeschmack haben.
Zutaten:
- Hausgemachter Fond: Knochen, Fleisch, Gemüse, Gewürze – Dinge, die eure Großmutter kennen würde.
- Fertigfond: Oft mit Hefeextrakt, Geschmacksverstärkern, modifizierten Stärken, Aromen und Farbstoffen. Die Zutatenliste ist meist lang und enthält Dinge, die in keiner Haushaltsküche zu finden sind.
Konsistenz:
- Hausgemachter Fond: Natürlich sämig durch Gelatine aus den Knochen, wird beim Abkühlen geliert.
- Fertigfond: Oft durch Stärke oder andere Verdickungsmittel angedickt, geliert nicht auf natürliche Weise.
Kosten:
- Hausgemachter Fond: Knochen sind günstig (oft gibt sie der Metzger sogar gratis dazu), aber es steckt Zeit drin. Rechnet man die Arbeitszeit nicht, ist selbstgemachter Fond deutlich günstiger.
- Fertigfond: Teuer für das, was drin ist. Qualitativ hochwertige Fertigfonds können bis zu 15€ pro Liter kosten.
Mein pragmatischer Rat:
Macht euch ein- oder zweimal im Jahr einen großen Topf Bratenfond und konserviert ihn. Für den Notfall könnt ihr immer noch einen guten Fertigfond im Schrank haben. Wenn ihr den selbstgemachten aufgebraucht habt und keine Zeit für einen neuen ist, könnt ihr auch einen Fertigfond mit etwas selbstgemachtem „aufpeppen“ – das gibt schon deutlich mehr Tiefe.
Wirtshausweisheiten zum Fond
In meinen Jahrzehnten als Wirt habe ich einige Weisheiten zum Thema Fond gesammelt, die ich gerne weitergebe:
- „An der Sauce erkennt man den Koch“ – Eine alte Küchenweisheit, die bis heute gilt. Wer gute Saucen macht, kann kochen.
- „Der Fond ist das Kapital des Kochs“ – Was der Wirt auf der Bank hat, hat der Koch im Kühlschrank: einen Vorrat an gutem Fond.
- „Lieber einen Tag ohne Fleisch als einen Tag ohne Fond“ – Ein guter Fond macht selbst einfache Gerichte besonders.
- „Beim Fond spart nur der Narr“ – An Grundzutaten zu sparen rächt sich immer im Geschmack.
- „Zeit ist die geheime Zutat“ – Nichts kann die langsame Extraktion der Aromen ersetzen.
Zum Abschluss: Warum es sich lohnt
Als ich vor 35 Jahren mein Wirtshaus übernommen habe, hat mir mein Vater gesagt: „Franz, du kannst vieles ändern, aber zwei Dinge nicht: den selbstgemachten Bratenfond und das selbstgebackene Brot.“ Und er hatte recht.
In Zeiten, wo alles schnell gehen muss und Fertigprodukte immer besser werden, fragen mich manche, warum ich immer noch selbst Fond koche. Die Antwort ist einfach: Weil es einen Unterschied macht, den die Gäste schmecken. Wenn jemand seinen Teller mit einem Stück Brot auswischt, um den letzten Tropfen Sauce nicht zu verschwenden, dann weiß ich, dass sich die Arbeit gelohnt hat.
Ein guter Bratenfond ist mehr als nur eine Zutat – er ist das Herzstück einer ehrlichen Küche. Er verbindet Tradition mit Handwerk, Respekt vor dem Produkt mit kulinarischem Wissen. Und er macht den Unterschied zwischen einem Essen, das satt macht, und einem, das in Erinnerung bleibt.
Also nehmt euch an einem regnerischen Wochenende Zeit, macht einen großen Topf Fond, füllt ihn in Gläser und genießt in den kommenden Monaten euer selbstgemachtes flüssiges Gold. Eure Gerichte – und eure Gäste – werden es euch danken.
Euer Franz Huber Wirtshauswirt
[…] als beim Rinderfond werden die Zutaten beim Fischfond nicht angeröstet. Hier geht’s um Finesse, um zarte, […]